«kleinStadtgespräche» 2024

Achtzehntes «kleinStadtgespräch»

Ungleiche Bildungschancen im Klybeck - was tun? 24.09.2024

Die Bildungschancen im Klybeck und Kleinhüningen hinken deutlich dem Basler Durchschnitt hinterher, misst man sie zum Beispiel an der Gymnasialquote. Nur rund 10% der Schüler*innen im Klybeck und Kleinhüningen wird der Übertritt nach der Primarschule gewährt, während es im restlichen Kantonsgebiet im Schnitt dreimal so viele sind. Im kleinStadtgespräch vom 24.09.2024 versuchte man dem auf den Grund zu gehen und Massnahmen zur Verbesserung der Situation zu benennen.

Unsere Gäste am 24.09.2024 im Humbug, Klybeckareal, 4047 Basel:

Mustafa Atici, Regierungsrat, Erziehungsdepartement / Heidi Mück, Grosser Rat, Basels starke Alternative! / Dr. Catherine Alioth, Grosser Rat, LDP, Mitglied Bildungs- und Kulturkommission / Sandra Bothe-Wenk, Grünliberale Partei / Bruno Enderli, Schulratspräsident PS Insel / Nino Russano, Schulratspräsident PS Kleinhüningen / Carmen Kolp, Schulratspräsidentin PS Er­len­matt / Nicole Markert, Schulleitung Insel / Fritz Rösli, Quar­tier­ar­beit Klÿck / Dr. Samuel Müller, NQV unteres Kleinbasel, Lehrbeauftragter / Elternvertreter/Vater / Dr. phil. Rebekka Sagelsdorff, Professur Bildungssoziologie

Wie ist die Situation?

Moderatorin Martina Rutschmann eröffnete die Runde mit der Frage, wie die Anwesenden die Situation im Quartier im Moment wahrnehmen. Ein Vater und Vertreter eines Quartiervereins spricht über die vorherrschend schwache sozioökonomische Schicht im Quartier und das Sparen an der Infrastruktur der Schulen. Man verhelfe sich von einem Provisorium zum nächsten und das mache negativen Eindruck. Ein weiterer Quartiervertreter nimmt engagierte Eltern war, die aber gegeben der Situation oft nicht wissen, wie sie ihre Kinder ohne weitere Hilfsangebote unterstützen können. Ein anderer Vater aus dem Quartier vergleicht die Situation mit einer ähnlichen aus seiner Kindheit und resigniert darin, dass sie nach 40 Jahren immer noch gleich zu bleiben scheint. Vonseiten Schulvertreter lobt man das Engagement der Lehrpersonen. Schulleitung Nicole Markert von der Primarschule Insel zum Beispiel erklärt dies mit dem wenigen Wechsel im Personal und den vielen Ressourcen, die die Schulen eigentlich zur Verfügung haben.

Sie und andere Schulvertretende plädieren auf das Engagement der Eltern mit dem der Bildungserfolg der Kinder gesteigert wird. Aufgrund ökonomischer Schwierigkeiten und einem hohen Pensum an Lohnarbeit sei es aber vielen Eltern im Klybeck und Kleinhüningen nicht möglich, ihre Kinder neben der Schulinfrastruktur zu fördern. Bildungssoziologin Dr. Rebekka Sagelsdorff schiebt ein, dass die Abhängigkeit am Engagement der Eltern ebenjener Mechanismus ist, der Bildungsungerechtigkeit befördert. Die Zusammenarbeit mit den Eltern sei wichtig, es ist aber entscheidend, dass der Lernerfolg der Kinder nicht an ihr festgemacht wird.

Welche Massnahmen braucht es?

Carmen Kolb, Schulratspräsidentin der PS Er­len­matt, schreibt den Tagesstrukturen eine wichtige Rolle zu. Vertreterinnen aus der Bildungskommission unterstreichen diesen Punkt. Sie setzen ausserdem auf Frühförderung und bringen das Beispiel der Spielgruppen an, an denen nicht-deutschsprachige Kinder vor Eintritt in den Kindergarten an drei Halbtagen gefördert werden, deutsch zu sprechen. Schwierig ist nur sprachlich durchmischte Spielgruppen zu organisieren, sodass auch Schweizer Kinder sie besuchen kommen. Für Kinder im Schulalter setzen sie sich für eine gebundenere Tagesstruktur (Pflicht) ein, sodass nicht so viel vom Engagement der Eltern abhängt. Regierungsrat Mustafa Atici plädiert ebenso für die Frühförderung, sodass ab dem Moment der Selektion in der Schule die Chancenungleichheiten ausgebügelt sind. Er fragt ausserdem, wo am heutigen Abend die Eltern aus dem Quartier geblieben sind?

Tatsächlich fehlen, leider wie so oft, wenn es um Anliegen aus diesem Quartier geht, die betroffenen Eltern in der Runde. Diese Perspektiven können nur nachempfunden, aber nicht direkt wiedergegeben werden. Man spricht über den Zusammenhang von Migrationshintergrund und verminderter Chancengleichheit. Eine betroffene ehemalige Schülerin schildert, wie struktureller Rassismus dazu führt, dass migrantischen Kindern weniger zugetraut wird. Eine Mutter und Politikerin aus dem Quartier berichtet hingegen den gegenteiligen Effekt ihrer Schweizer Kinder, die von den Schulen als „überqualifiziert“ bewertet wurden, obwohl sie das nicht waren. Sagelsdorff klärt hier auch wieder, dass wissenschaftlich vor allem die sozioökonomische Situation des Elternhaushalts ausschlaggebend für die Bildungschancen der Kinder sind und weniger das Thema Herkunft. Da jedoch im Klybeck und in Kleinhüningen beide Faktoren übereinander liegen, liegt diese Annahme auf der Hand.

Sagelsdorff stellt ausserdem in Frage, ob die schulische Leistung durch Selektion in Leistungszüge – wie es in Basel üblich ist – überhaupt sinnvoll sei, da sich hinter den Zügen nicht ein Wissensunterschiede, sondern ungleiche Grundvoraussetzungen verberge. Andere Kantone nehmen diese Selektion gar nicht erst vor, warum also Basel-Stadt? Viele aus der Runde finden diesen Ansatz zu radikal oder unrealistisch, dass Basel nun das ganze Schulsystem «umkrämpelt». Es wird das Beispiel «Atelier-Unterricht» genannt, dass – zwar innerhalb der Leistungszüge – sich an den Interessen und Kompetenzen der Schüler_innen orientiert statt rein an Noten. Andere liebäugeln mit der Idee und argumentieren, dass die Leistungsselektion dazu führt, dass man sich, einmal eingeteilt, nicht verbessern kann und schon früh Druck auf die Kinder ausübt.

Was kann die Politik nun zur Verbesserung mitnehmen?

  • Die Förderprogramme und Massnahmen müssen zielgerichtet sein, damit sie wirken können.
  • Die Tagesstruktur rund um die Schule soll weiterentwickelt werden (innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen)
  • Hoffnung auf den Erfolg des Massnahmenpaket der integrativen Schule auch für Klybeck und Kleinhüningen. Dieses Paket brauche einfach eine Mehrheit im Grossen Rat meint der Departementsvorsteher des Erziehungsdepartements.

07.10.2024/STS KB/rg